ENDLICH VON DER

Qual erlöst

Oberarzt Dr. Rupert Reichart baut in Bad Neustadt ein interdisziplinäres Schmerzzentrum auf. Dass auch die Neurochirurgie beteiligt ist, ist ein Alleinstellungsmerkmal.

Schmerzen können einen immensen Verlust an Lebensqualität bedeuten. Manche Patienten quälen sich viele Jahre lang, weil sie keinen Arzt finden, der sie adäquat behandelt. „Vor allem diesen Patienten wollen wir mit unserem neuen Schmerzzentrum helfen“, berichtet Dr. Rupert Reichart. Der aus München stammende Neurochirurg verstärkt seit September 2020 das Team der Klinik für Neurochirurgie am ​RHÖN-KLINIKUM Campus Bad Neustadt. Von Jena, wo er zuletzt tätig war, brachte er die Idee „Schmerzzentrum“ mit nach Bad Neustadt.

Im neuen Zentrum ist der Fachbereich Neurologie mit der Neurochirurgie gekoppelt. Außerdem wird sehr eng mit der Psychosomatik kooperiert. Die Einrichtung nahm offiziell am 1. April ihren Betrieb auf. Doch schon vor der Etablierung des Zentrums erhielten Schmerzpatienten am Campus Bad Neustadt laut Reichart eine zweiwöchige, intensive Komplexbehandlung. Allerdings konnten bisher nur vier Patienten gleichzeitig therapiert werden: „Wir wollen die Kapazitäten mindestens verdoppeln.“ Ganz neu seit April ist die Möglichkeit, Patienten mit starken Schmerzen, die von ihrem Hausarzt nicht mehr betreut werden können, im Schmerzzentrum ambulant vorzustellen.

Interdisziplinär auf der Suche nach der Schmerzursache

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zentrums machen einen anspruchsvollen Job, ist es doch gar nicht so einfach, chronische Schmerzen zu behandeln. Im Schmerzzentrum wird zunächst abgeklärt, ob eine Operation oder ob neuromodulare Verfahren, etwa eine Rückenmarksstimulation, Abhilfe schaffen könnten. Dies ist der Part der Neurochirurgie. Neurologen schauen, ob die Medikation passt: Wurde bisher zu wenig, zu viel oder wurde das Falsche verordnet? Weil Schmerzen oft auch seelische Ursachen haben, ist die Psychosomatik integriert. Außerdem wirken Physio-, Ergo-, Psycho- und Physikalische Therapeuten mit. Der Sozialdienst ist ebenfalls eingebunden.

Oberarzt Reichart nahm mit Kurt M. erst jüngst einen Patienten auf, der seit vielen Jahren unter Schmerzen leidet: Sein Rücken tut ihm schrecklich weh. „Er wurde deshalb schon mehrere Male an der Wirbelsäule operiert“, schildert der Mediziner. Doch die Schmerzen sind immer noch da. Inzwischen strahlen sie ins linke Bein aus. „Auch in diesem Fall schauen wir als Erstes, ob es eine operative Chance gibt, dem Patienten zu helfen“, so Reichart. Laut dem Schmerz- und Hypnosetherapeuten ist dies an vielen Schmerzzentren nicht möglich: „Dort sind keine operativen Fächer integriert.“ Die Einbindung der Neurochirurgie verleiht dem Bad Neustädter Zentrum ein Alleinstellungsmerkmal.


Es kommt sogar vor, dass sie sich alle Zähne ziehen lassen.

Dr. Rupert Reichart

In der Schmerztherapie gibt es nicht das Nonplusultra. Jeder Patient muss individuell betrachtet werden. Im Falle von Kurt M. zum Beispiel stellte sich heraus, dass die starken Rückenschmerzen zum Teil auch auf massiven privaten Stress zurückzuführen sind: In der Ehe des 56-Jährigen knirscht es, ständige Streitereien mit seiner Frau belasten ihn sehr. Wie sich im Verlauf der Untersuchungen weiter herausstellte, führten die permanenten Reibereien in Verbund mit den Dauerschmerzen sogar zu einer leichten Depression. Gerade für Kurt M. ist deshalb das verhaltenstherapeutische Angebot sehr wichtig. Am Campus Bad Neustadt wird er außerdem Entspannungsübungen kennen lernen.

Wie groß das Interesse der Patienten an dem Angebot in Bad Neustadt ist, zeigt die Warteliste: Die vier Plätze, die bisher zur Verfügung standen, waren immer ruckzuck weg. Zu Reichart kommen Patienten, die sehr stark beeinträchtigt sind. Dazu gehört Inge B. (Name geändert). Die 45-Jährige klagt über massive Schmerzen im Gesicht. Vor allem Patienten mit solchen Symptomen haben Reichart zufolge oft eine Odyssee hinter sich. Viele klapperten mehrere HNO-Ärzte ab – ohne Erfolg. „Es kommt sogar vor, dass sie sich alle Zähne ziehen ließen“, so der Neurochirurg. Doch die Schmerzen blieben: „Wir hier können auch solche Schmerzen sehr gut therapieren.“

Reicharts Bereitschaft für einen Ortswechsel von Jena nach Bad Neustadt kommt Schmerzpatienten aus Unterfranken sehr zugute. In Thüringen löste seine Entscheidung allerdings nicht eben Freude aus. Kapazitäten wie Reichart, die selbst versteckteste Quellen von Schmerzsyndromen identifizieren können, sind deutschlandweit rar gesät. „Viele meiner Patienten aus Jena sind mir an den Campus Bad Neustadt gefolgt“, verrät der Neurochirurg. Eben weil er nicht nur Erkrankte aus Unterfranken anzieht, wird der sukzessive Ausbau der stationären und ambulanten Schmerztherapie in Bad Neustadt sehr begrüßt.

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